“Wandel durch Annäherung”. Dieser Grundsatz der Brandtschen Ostpolitik ist ein Totschlagargument für alle außenpolitischen Hardliner. Schlecht für sie, dass es stimmt. Die Wiedervereinigung ohne vorherige Ostpolitik? Undenkbar.
Besonders praktisch ist es, dass sich derzeit die Gelegenheit bietet, erneut zu beweisen, wie richtig und erfolgreich die alte Maxime ist. Wieder einmal wird ein neuer Ansatz in der “Ostpolitik” benötigt. Die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland, Merkel und Putin sind leicht unterkühlt, frostig, in arktischer Kälte erstarrt. Merkel wirft Putin eine rückwärtsgewandte undemokratische Politik vor. Da hat sie nicht ganz unrecht. Putin unterdrückt jegliche Opposition und Minderheiten.
Wir erleben zudem, dass Russland unter Putin gerne die Supermacht spielt und kräftig die Muskeln spielen lässt, so wie im Sommer, als Snowden in Russland Asyl fand. Stärke demonstrieren und den USA ihre Grenzen aufzeigen. Nach diesem Motto handelt Putin. Doch dies kaschiert nur die gewaltigen Probleme, vor denen das Land steht und nicht so recht weiß, wie diese zu bewältigen sind.
Von aktuell stolzen 142 Millionen Menschen auf ungefähr 100 Millionen bis 2050 schrumpfen, das ist ein harter demographischer Wandel. Besonders für ein Land, das anders als Deutschland nicht auf eine gut ausgebaute Infrastruktur setzen kann. Gründe sind die hohe Sterblichkeit, einhergehend mit der niedrigen Lebenserwartung, der geringen Geburtenzahl sowie übermäßiger Wodkakonsum (der als geringste einzuschätzende Faktor). Doch das ist nicht alles: hohe Korruption, teils durch Putin selbst verschuldet, aber ebenso eine nicht nachhaltig ausgelegte Wirtschaft, die vor allem auf den vielen Öl- und Gasquellen basiert. Zudem wird der wachsende Einfluss der Schwellenländer und der Supermacht China nicht nur Washingtons auch Moskaus Macht schwinden lassen.
So könnte man Moskaus Handeln ein letztes Aufbäumen gegen den Niedergang nennen. Anlass genug, sich in Berlin zurückzulehnen und hoffen, dass die Geschichte ihren Lauf nimmt. Das wäre dumm. Schließlich sind Reformen und Wende nicht auszuschließen. Zudem führt derzeit kein Weg an Russland vorbei. Siehe Syrien. Putin entschied, Waffen an Assad zu liefern, was den Krieg bis heute anhalten lässt und eine friedliche Lösung blockiert.
Ein gutes Verhältnis zwischen Deutschland, EU und Russland könnte da so einiges bewegen und erleichtern.
Folglich müssen wir uns diese Fragen stellen: Was erwarten wir? Was wollen wir im Gegenzug geben?
Wir wollen: Mehr Demokratie und Rechtsstaat, keine Spionage mehr, statt Blockade Kooperation in internationalen Angelegenheiten. Doch wie soll das erreicht werden? Das fängt schon beim Raketenabwehrschild an. Russland will eingebunden werden. Wo ist das Problem? Einfach machen. Der Kalte Krieg ist vorbei. Schon seit einigen Jahren. Es macht keinen Sinn gegeneinander zu agieren. Eine engere Kooperation mit der NATO, vielleicht sogar ein Beitritt. Die NATO braucht sowieso eine neue strategische Ausrichtung und muss sich lösen von der starren Ausrichtung auf die USA. Wieso nicht Russland einbinden, zu den richtigen Bedingungen. Integration statt Segregation. Auch eine intensivere Kooperation mit der Europäischen Union ist sinnvoll. Russland langfristig an den europäischen Markt zu binden und wirtschaftlich eng miteinander verflochten zu sein, hat Vorteile. Die EU basiert auf dieser Idee. Wenn die Mitglieder abhängig voneinander sind und dabei profitieren, fördert dies Verständnis, Völkerfreundschaft und Frieden und nicht zu letzt eine prosperierende Wirtschaft (Geld beherrscht die Welt). Dann sind auch Kompromisse selbstverständlich.
Man kann sich doch nicht über die furchtbaren Zustände in einem Land aufregen und sich dann wundern, wieso es sich abschottet. Stattdessen muss man die Hand ausstrecken und in einem Dialog auf die Missstände aufmerksam machen. Nähere dich einem Land an und es wird sich dir annähern, sich wandeln. Wandel durch Annäherung.
Hier hat die alte Bundesregierung versagt. Auch Gaucks Boykott der Olympischen Winterspiele in Sotschi ist nicht hilfreich. Statt Zuckerbrot anzubieten, wird direkt die Peitsche geschwungen.
Nun hängt ein besseres Verhältnis vom Willen beider Seiten ab. Den ersten Schritt müssen EU und Bundesregierung machen. Hoffentlich wird sich die neue Bundesregierung, an der die Sozialdemokraten beteiligt sind, an das Motto der Brandtschen Außenpolitik erinnern und diesen ersten Schritt tun. Danach liegt der Ball bei Putin. Was er damit anfängt, muss er entscheiden.