Was ist ist der schlimmste Albtraum eines Parteichefs? Genau, Kritik. Schlimm, wenn sie einmal in der Welt ist. Schlimmer noch, wenn sie berechtigt ist. Eine Katastrophe, wenn sie kurz vor den Wahlen hochkommt. Der absolute Super-GAU ist natürlich berechtigte Kritik, die kurz vor den Wahlen aus den eigenen Reihen kommt. Autsch! Das wünscht man keinem Parteichef. Gut, dass Angela Merkel dahingehend geschützt ist.
Bisher pflegte Merkel ein einzigartiges Verhältnis zur Kritik. Schon oft hat man (Medien, SPD, eigene Partei) versucht sie mit der Kritik in den Boxring zu stellen. Zwar gab es nie ein k.o. für die Kritik, doch hat sie sich gegen Merkel stets totgelaufen, sodass sie aufgeben musste. Lange Zeit hatte Merkel relative Ruhe vor der ewigen Spielverderberin in der Politik. Die Stimmung im Volk ist ruhig. Zur Zeit existiert keine durchsetzungsfähige Opposition. Da sollte man meinen, Union und SPD könnten vier Jahre lang kritikfrei regieren. Doch die böse Kritik hat einen vermeintlich neuen Weg gefunden, Merkel zu ärgern. Wie eben in den letzten Wochen.
Unsere geliebte Union hat nämlich gerade mit genau diesem Problem zu kämpfen. Nicht nur dass irgendwelche dahergelaufenen Politiker DIE Partei Deutschlands in den Dreck ziehen. Diese bodenlose Frechheit, keinesfalls ein Kavaliersdelikt, erlauben sich ausgerechnet einige Mitglieder der Jungen Union. Sie wagen es doch tatsächlich, sich gegen unsere Kanzlerin, unsere “Mutti” aufzulehnen. Die Menschen, die eigentlich von den Großen kontrolliert werden und führungstreu sein sollten, fordern nun Reformen. Immerhin kann die politische Konkurrenz beruhigt sein: Wer so dämlich ist, Merkel in ihrer momentanen Position zu kritisieren, der wird es in der Politik zu nichts bringen.
Aber was will der Nachwuchs überhaupt? Erinnern Sie sich noch an die Agenda 2010? Es war dieses rot-grüne Projekt, das sich zum Ziel gesetzt hatte, Arbeitsmarkt und Sozialsystem zu reformieren. Die kleine Gruppe von “Rebellen” fordert nun von Merkel und Co. Reformen im Stile jener Agenda. Sogar einen coolen Gruppennamen gibt es. Ganz kreativ nennt man sich “CDU 2017” (aktueller Stand: Der Nachwuchs ist dämlich UND unkreativ). Raffiniert, wenn man weiß, dass dies das Jahr ist, in dem diese Reformen dann als “Agenda 2020” verwirklicht werden sollen (zu kompliziert für das einfach Volk). Am Rande sei erwähnt, dass es schon interessant ist, dass eine Idee von Rot-Grün als Vorbild dient (nun also noch kleine Guttenbergs). Wobei sich dadurch womöglich (so sagen es die Propheten) parteiinterne Bereitschaft für Veränderungen erkennen lässt. Tabubruch!
Vergangenes Wochenende veröffentlichten die Jungpolitiker jedenfalls ihr Reformblatt “Das Richtige tun. Für eine Agenda 2020”. Darin stellen sie sich nun öffentlich gegen die Koalitionspläne. Natürlich lupenrein formuliert, äußert man konstruktive Kritik. Zumindest ist man davon überzeugt. Auf gut Deutsch heißt das das: Die machen doch tatsächlich die monatelange Arbeit der Groko auf wenigen Seiten nieder. Unerhört.
Aber jetzt mal Spaß beiseite, was haben die sich eigentlich da ausgedacht? Die Überlegungen haben durchaus Substanz, auch wenn die Bundesregierung dies überhaupt nicht befürwortet.
- Konkret zweifeln sie am Sinn der Rente mit 63. Man solle älteren Menschen nicht die Möglichkeit nehmen arbeiten zu gehen, wenn sie in der Lage dazu wären, so heißt es. Nun lässt sich natürlich entgegnen, dass die Rente mit 63 das Arbeiten mit über 63 Jahren nicht unter Strafe stellt. Aber abgesehen davon ist das Projekt durchaus kontrovers.
- Darüber hinaus wird gefordert, sich prinzipiell mit dem Gedanken einer schwarz-grünen Koalition anzufreunden. Und dann auch zu realisieren. Recht mutig, denn dieser Punkt ist nicht gänzlich unumstritten.
- Außerdem wollen die “Rebellen” eine Steuerreform einführen. Es gäbe in Deutschland wie in keinem anderen Land so viele Steuerabgaben. Daher soll, wenn es die finanzielle Situation erlaubt, die kalte Progression gelockert oder sogar abgeschafft werden. Man muss dem Bürger auch hinsichtlich der Steuern Freiheiten gewähren, heißt es.
So verlockend diese Forderungen auch klingen mögen, darf man keineswegs vergessen, dass hier ein Streben nach echten, ehrlichen Inhalten zu erkennen ist. Wollen wir denn wirklich eine CDU mit Inhalten?
So wie unsere Kanzlerin reagierte, schient diese Vision für sie nicht sonderlich attraktiv. Mit einer knappen Handbewegung wischte sie sämtliche Forderungen beiseite. Und wieder ein k.o. für die Kritik, diesmal in der ersten Runde. Ihr Pressesprecher versuchte noch die Scherben aufzukehren. Er relativierte Merkels Reaktion, da sie ja grundsätzlich mit derartigen Vorschlägen einverstanden sei, der Zeitpunkt wäre schlichtweg schlecht gewählt. Man sagt anscheinend nicht aus dem hohlen Bauch heraus, dass die Frau im Moment mit den Europawahlen beschäftigt ist. Wenn man schon aus “Scheiße Gold” machen will, kann man natürlich keine Kritik aus den eigenen Reihen gebrauchen. Daher hat man die Debatte kurzer Hand auf nach der Europawahl gelegt. Wie es also mit der Agenda 2020 weitergehen wird, sehen wir vermutlich erst im Juni. Wenn überhaupt, schließlich sind Politiker Experten im “am besten nie wieder drüber reden und hoffen, dass es keiner merkt”.
Was ist nun die Moral von der Geschicht’?
- An Angela Merkels Verhältnis zur Kritik hat sich nichts geändert. Sie siegt. Die Kritik kapituliert.
- Veränderungen (sprich: Reformen) scheinen nicht in ihr Weltbild zu passen. Nicht mal sinnvolle. Schon gar nicht, wenn sie sich dafür unbeliebt machen müsste. Sich für das Wohl des Landes einzusetzen, ist ja zu viel verlangt.
- Die CDU muss sich dringend kluge Köpfe holen, so tölpelhaft wie sich die “Rebellenallianz” gebärdet. Obwohl, bis jetzt hat es — frei nach dem Motto: Nach uns die Sintflut — ja geklappt.