15. Mai 2014
von Henri Koblischke
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Die besseren SPD-Steuerpläne

Die FDP fordert es schon seit Jahren. Die kalte Progression soll abgeschafft werden.
Seit geraumer Zeit sprudeln die Steuereinnahmen, doch bisher hat sich die Regierung gesträubt, die Bürger zu entlasten. Dass das nun ausgerechnet SPD-Chef Gabriel mit seinen Plänen zur kalten Progression will, ist schon eine paradoxe Situation. Im Wahlkampf forderte er noch Steuererhöhungen; der Kurswechsel kommt einigen zu abrupt. “Ich bin skeptisch, wie das zustande kommen kann”, so SPD-Vize Stegner. Begeistert klingt das nicht. Dabei sollte er begeistert sein! Denn der Abbau der kalten Progression könnte Teil eines neuen SPD-Steuerkurses sein. Und durch den neuen Steuerkurs ließe sich die Partei erneuern und für neue Wähler öffnen. Dazu später mehr.

Die Kritik an der Entlastung ist gerechtfertigt, sofern sie sich auf die Sinnlosigkeit als einzelne Maßnahme bezieht, ohne in einem Konzept verankert zu sein. Doch wie soll dieses Konzept aussehen?

Die SPD ist vor allem für eines zuständig: Gerechtigkeit. Die Einkommens- und Vermögensverteilung ist in den letzten Jahrzehnten stetig auseinander gegangen. Die meisten Bürger finden das ungerecht. An diesem Punkt muss die SPD ansetzen. Mit einem ähnlichen Konzept, wie sie es bisher schon tut. Die geforderten Steuererhöhungen sind nicht falsch. Doch das eindimensionale Konzept muss erweitert werden. Zweigleisig fahren ist in diesem Fall effektiver. Belastung für die Starken und Entlastung für die Schwachen. Ansonsten verpufft die Reform und nützt niemandem so richtig. Wenn nun die Mittelschicht entlastet werden würde, hätte man die Binnennachfrage angekurbelt, die Einkommensungleichheit bekämpft und zugleich Sympathien gesammelt, die die SPD in ihrem derzeitigen (Umfrage-)Zustand durchaus gebrauchen kann.

Dass Wohlhabende und Reiche stärker zum Wohl der Gesellschaft beitragen müssen (sprich: mehr Steuern), hat die SPD schon erkannt. Die Einkommens- und Vermögensverteilung ist eine der größten Gefahren unserer Gesellschaft. Diese anzunähern ist kein Kommunismus, sondern faire Sozialpolitik. Ansonsten kommt es bei jetziger Entwicklung – überspitzt formuliert – zu einer Spaltung in Bourgeoisie und Proletariat. Indem der Staat hier ausgleichender wirkt, kann dies verhindert werden. Viel tiefschürfender ist der Umstand, dass das Sozialverhalten mit dem Steuern zahlen aufhört. Die Rede ist nicht davon, die Reichen “zu Tode” zu besteuern. Die Substanz zu besteuern ist in niemandes Interesse. Es geht vielmehr um die Gewinne. Wieso diese nicht stärker besteuern? Stichwort: Kapitalertragssteuer. Sehr hohes Einkommen kann durch einen höheren Spitzensteuersatz  sinnvoll besteuert werden. Mit der Erbschaftssteuer kann ebenfalls mehr Gleichheit geschaffen werden. Hier empfiehlt es sich allerdings progressiv vorzugehen. Die Steuererhöhungen dürfen nicht zu Lasten der Gering- und Mittelverdiener gehen.

Kommt es wegen der Pläne zu Steuerflucht? Durchaus möglich. Wir als Gesellschaft müssen uns entscheiden. Wie viel ist uns mehr Gleichheit wichtig? Ist sie es uns wert, einen Uli Hoeneß zu verlieren? Prioritäten sind wichtig. Dass Argument, das höhere Steuern die Reichen vertreiben, ist für bequeme Geister geschaffen. So wie Freiheit ihren Preis hat, hat auch Gerechtigkeit ihren Preis. Wollen wir einen Staat mit bisherigen Steuersätzen und einer kleinen vermögenden Oberschicht und der Rest besitzt nur einen kleinen Teil? Oder wollen wir einen Staat, der um einige Reiche erleichtert, mehr Gerechtigkeit und Perspektiven auch für die unteren Schichten verspricht?

Nicht zu vergessen ist die Frage nach dem Geld. Was macht der Staat mit den Mehreinnahmen? Die kalte Progression abzubauen kostet. Viel stärker wiegen allerdings die Einnahmen durch die oben genannten Maßnahmen. Als Verfechter der Nachhaltigkeit und des langfristigen Wirtschaftens, bleibt zu hoffen, dass nun keine sinnfreien Wahlkampf- und Klientelgeschenke mehr folgen (nein, natürlich sind damit nicht die Rentenpläne gemeint) stattdessen Investitionen in Bildung, Infrastruktur, Forschung u.ä. Also alles, was bisher deutlich zu kurz gekommen ist. So können die Reichen sehen, dass ihre Steuern nicht verbraten werden, sondern sinnvoll investiert werden.

Machen wir uns nichts vor: Kleine und mittlere Einkommen entlasten, die Reichen stärker besteuern und damit für mehr Gerechtigkeit sorgen? Diese Pläne werden unter einer großen Koalition niemals umgesetzt werden. Die SPD hat die Wahl. Sie kann versuchen, die Pläne in der “Soft-Version” noch in der großen Koalition durchzusetzen. Oder sie setzt mit Rot-Rot-Grün auf das Ganze. Die Steuerpläne sind dann aber machtpolitisch ungleich schwieriger zu realisieren. Nur: Wer leichte Arbeit will, sollte sich einen anderen Job als den eines Politikers suchen.

Wenn dieses Programm realisiert werden würde, so hätte die SPD sowohl politischen Nutzen als auch “Gutes” getan. Bisher hat die SPD die Mittelschicht verprellt. Steuererhöhungswahlkampf und Rentenpläne haben dazu beigetragen. Die Sozialdemokraten haben sich bisher zu sehr auf das “Nehmen” verlassen. Es muss etwas gegeben werden, das ist durchaus sozial gerecht, wie es auch SPD-Chef Gabriel formulierte: Er nennt die kalte Progression “sozial ungerecht.” Natürlich darf die SPD Gutes tun, aber es muss a) gegenfinanziert sein (siehe oben). Gerade in diesem Fall ist es notwendig b) die eigene Klientel zu befriedigen. Das hört sich blöd an, ist aber klug. Ansonsten ist die Klientel verprellt; also nicht nur entlasten, sondern auch belasten, wie im Wahlkampf versprochen. Als SPD kann man nicht (nur) mit Steuergeschenken gewinnen. Eine schwache SPD kann nichts bewegen. Vor allem ist c) ein langfristiger, dem Allgemeinwohl dienlicher Zweck zwingende Voraussetzung. Hier werden die Wirtschaft und die Mittelschicht gestärkt, soziale Ungerechtigkeiten abgebaut und mit Investitionen die Zukunft gestaltet. Dann ist man weg von dem Etikett “Steuererhöhungspartei” und hat sich gewandelt zur “Partei mit Vision”.

Hier stoßen wir auf ein Kernproblem der Sozialdemokraten. Der SPD fehlt es an Vordenkern — oder an Denkern allgemein. Rote Gutmenschen, die sich um soziale Wohltaten und linke Wunschträume kümmern, sind nicht genug. Es braucht Genossen, die auch mal auf Fehler hinweisen und unbeliebte Wahrheiten aussprechen. Bei der SPD und den Medien mögen sie als verkappte Christdemokraten gelten, tatsächlich sind gerade sie die Typen, die der SPD überhaupt ermöglichen zu regieren. Wieso waren Schmidt und Schröder Kanzler? Weil sie die Mitte angesprochen haben. Daher ist es ein gutes Zeichen, dass Parteichef Gabriel Einsicht zeigt. Dennoch bleibt es vorerst nur ein erster Schritt. Um das Ziel zu erreichen, sind noch weitere Schritte nötig.

5. Mai 2014
von bgb
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CDU 2017 oder: Merkel und die Kritik

Was ist ist der schlimmste Albtraum eines Parteichefs? Genau, Kritik. Schlimm, wenn sie einmal in der Welt ist. Schlimmer noch, wenn sie berechtigt ist. Eine Katastrophe, wenn sie kurz vor den Wahlen hochkommt. Der absolute Super-GAU ist natürlich berechtigte Kritik, die kurz vor den Wahlen aus den eigenen Reihen kommt. Autsch! Das wünscht man keinem Parteichef. Gut, dass Angela Merkel dahingehend geschützt ist.
Bisher pflegte Merkel ein einzigartiges Verhältnis zur Kritik. Schon oft hat man (Medien, SPD, eigene Partei) versucht sie mit der Kritik in den Boxring zu stellen. Zwar gab es nie ein k.o. für die Kritik, doch hat sie sich gegen Merkel stets totgelaufen, sodass sie aufgeben musste. Lange Zeit hatte Merkel relative Ruhe vor der ewigen Spielverderberin in der Politik. Die Stimmung im Volk ist ruhig. Zur Zeit existiert keine durchsetzungsfähige Opposition. Da sollte man meinen, Union und SPD könnten vier Jahre lang kritikfrei regieren. Doch die böse Kritik hat einen vermeintlich neuen Weg gefunden, Merkel zu ärgern. Wie eben in den letzten Wochen.

Unsere geliebte Union hat nämlich gerade mit genau diesem Problem zu kämpfen. Nicht nur dass irgendwelche dahergelaufenen Politiker DIE Partei Deutschlands in den Dreck ziehen. Diese bodenlose Frechheit, keinesfalls ein Kavaliersdelikt, erlauben sich ausgerechnet einige Mitglieder der Jungen Union. Sie wagen es doch tatsächlich, sich gegen unsere Kanzlerin, unsere “Mutti” aufzulehnen. Die Menschen, die eigentlich von den Großen kontrolliert werden und führungstreu sein sollten, fordern nun Reformen. Immerhin kann die politische Konkurrenz beruhigt sein: Wer so dämlich ist, Merkel in ihrer momentanen Position zu kritisieren, der wird es in der Politik zu nichts bringen.

Aber was will der Nachwuchs überhaupt? Erinnern Sie sich noch an die Agenda 2010? Es war dieses rot-grüne Projekt, das sich zum Ziel gesetzt hatte, Arbeitsmarkt und Sozialsystem zu reformieren. Die kleine Gruppe von “Rebellen” fordert nun von Merkel und Co. Reformen im Stile jener Agenda. Sogar einen coolen Gruppennamen gibt es. Ganz kreativ nennt man sich “CDU 2017” (aktueller Stand: Der Nachwuchs ist dämlich UND unkreativ). Raffiniert, wenn man weiß, dass dies das Jahr ist, in dem diese Reformen dann als “Agenda 2020” verwirklicht werden sollen (zu kompliziert für das einfach Volk). Am Rande sei erwähnt, dass es schon interessant ist, dass eine Idee von Rot-Grün als Vorbild dient (nun also noch kleine Guttenbergs). Wobei sich dadurch womöglich (so sagen es die Propheten) parteiinterne Bereitschaft für Veränderungen erkennen lässt. Tabubruch!

Vergangenes Wochenende veröffentlichten die Jungpolitiker jedenfalls ihr Reformblatt “Das Richtige tun. Für eine Agenda 2020”. Darin stellen sie sich nun öffentlich gegen die Koalitionspläne. Natürlich lupenrein formuliert, äußert man konstruktive Kritik. Zumindest ist man davon überzeugt. Auf gut Deutsch heißt das das: Die machen doch tatsächlich die monatelange Arbeit der Groko auf wenigen Seiten nieder. Unerhört.

Aber jetzt mal Spaß beiseite, was haben die sich eigentlich da ausgedacht? Die Überlegungen haben durchaus Substanz, auch wenn die Bundesregierung dies überhaupt nicht befürwortet.

  • Konkret zweifeln sie am Sinn der Rente mit 63. Man solle älteren Menschen nicht die Möglichkeit nehmen arbeiten zu gehen, wenn sie in der Lage dazu wären, so heißt es. Nun lässt sich natürlich entgegnen, dass die Rente mit 63 das Arbeiten mit über 63 Jahren nicht unter Strafe stellt. Aber abgesehen davon ist das Projekt durchaus kontrovers.
  • Darüber hinaus wird gefordert, sich prinzipiell mit dem Gedanken einer schwarz-grünen Koalition anzufreunden. Und dann auch zu realisieren. Recht mutig, denn dieser Punkt ist nicht gänzlich unumstritten.
  • Außerdem wollen die “Rebellen” eine Steuerreform einführen. Es gäbe in Deutschland wie in keinem anderen Land so viele Steuerabgaben. Daher soll, wenn es die finanzielle Situation erlaubt, die kalte Progression gelockert oder sogar abgeschafft werden. Man muss dem Bürger auch hinsichtlich der Steuern Freiheiten gewähren, heißt es.

So verlockend diese Forderungen auch klingen mögen, darf man keineswegs vergessen, dass hier ein Streben nach echten, ehrlichen Inhalten zu erkennen ist. Wollen wir denn wirklich eine CDU mit Inhalten?

So wie unsere Kanzlerin reagierte, schient diese Vision für sie nicht sonderlich attraktiv. Mit einer knappen Handbewegung wischte sie sämtliche Forderungen beiseite. Und wieder ein k.o. für die Kritik, diesmal in der ersten Runde. Ihr Pressesprecher versuchte noch die Scherben aufzukehren. Er relativierte Merkels Reaktion, da sie ja grundsätzlich mit derartigen Vorschlägen einverstanden sei, der Zeitpunkt wäre schlichtweg schlecht gewählt. Man sagt anscheinend nicht aus dem hohlen Bauch heraus, dass die Frau im Moment mit den Europawahlen beschäftigt ist. Wenn man schon aus “Scheiße Gold” machen will, kann man natürlich keine Kritik aus den eigenen Reihen gebrauchen. Daher hat man die Debatte kurzer Hand auf nach der Europawahl gelegt. Wie es also mit der Agenda 2020 weitergehen wird, sehen wir vermutlich erst im Juni. Wenn überhaupt, schließlich sind Politiker Experten im “am besten nie wieder drüber reden und hoffen, dass es keiner merkt”.

Was ist nun die Moral von der Geschicht’?

  • An Angela Merkels Verhältnis zur Kritik hat sich nichts geändert. Sie siegt. Die Kritik kapituliert.
  • Veränderungen (sprich: Reformen) scheinen nicht in ihr Weltbild zu passen. Nicht mal sinnvolle. Schon gar nicht, wenn sie sich dafür unbeliebt machen müsste. Sich für das Wohl des Landes einzusetzen, ist ja zu viel verlangt.
  • Die CDU muss sich dringend kluge Köpfe holen, so tölpelhaft wie sich die “Rebellenallianz” gebärdet. Obwohl, bis jetzt hat es — frei nach dem Motto: Nach uns die Sintflut — ja geklappt.