21. Oktober 2014
von Henri Koblischke
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Wovon der ausgeglichene Haushalt ablenkt

Die Aussichten werden düster, die Wirtschaft sieht schwierigen Zeiten entgegen. Sämtliche Wirtschaftsforschungsinstitute und die Bundesregierung unterbieten sich darin, ihre Prognosen zurück zuschrauben. Die Bundesregierung geht von 1,2% Wirtschaftswachstum in diesem Jahr und nur 1,3% Prozent 2015 aus. Im zweiten Quartal war die Wirtschaft gar geschrumpft. Für die große Koalition bedeutet dies eine Gefahr für die “schwarze Null”. Das Lieblingsprojekt der Union und der Kanzlerin steht auf wackligen Füßen.
Der Union kommt es nach langen Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs ungelegen, dass der linke Flügel der SPD angesichts der eingetrübten Wirtschaftsaussichten nun Oberwasser hat. Der von CDU-Generalsekretär Tauber als “rote Null” abgestempelte SPD-Vize Stegner forderte jüngst ein Abrücken von der “schwarzen Null”.
Der Streit ist Ausdruck des grundlegenden Dissens in der Wirtschaftspolitik.

Sparen oder Investieren; das ist hier die Frage.

Merkel und ihre Union halten an dem in der Eurokrise (un-)bewährten Konzept fest: sparen, sparen, sparen. Sie sehen in der Staatsverschuldung einen Konjunkturkiller. Die autoritäre Haushaltspolitik, der sich die große Koalition verschrieben hat, soll Vertrauen schaffen. Zudem soll die solide Haushalts- und Finanzpolitik als Grundlage für wirtschaftlichen Erfolg dienen.

Die SPD will eine weiter links ausgerichtete Wirtschaftspolitik fahren. Sie sieht sich durch die Erfahrungen in der Finanzkrise bestätigt. Die damalige große Koalition hatte mit Konjunkturpaketen Deutschland aus der Weltwirtschaftskrise gelotst. Den autoritären Ansatz der Union sieht die SPD durch Erfahrungen der Eurokrise widerlegt. Griechenland, Spanien, Italien und Portugal ächzen unter dem Spardruck. Für die SPD ist das Sparen der Konjunkturkiller.

Bei wirtschaftlicher Schönwetterlage war dieser Dissens kein allzu großes Problem, aber die dunklen Wolken für die deutsche Wirtschaft sorgen für Gewittergrollen am Politikhimmel.

Opium fürs Volk

Die Union weist gerne auf das starke Deutschland hin. Die Wachstumslokomotive. Der ruhige Hafen im Sturm. Diese fatale Selbstzufriedenheit wird in einer globalisierten Welt schnell bestraft. Zudem sind Schulden ein Problem, aber nicht d a s Problem.
Die Mär’ von der schwarzen Null dient lediglich der Befriedigung der deutschen Nostalgie. Sie gaukelt vor, dass ein ausgeglichener Haushalt die goldenen Zeiten des Wirtschaftswunders wiederbringe, will heißen: ein Garant für Wachstum. Die “schwarze Null” ist Opium fürs Volk. Das Opium schläfert uns ein, lenkt uns von den wahren Problemen ab. Und sägt am Fundament unserer Wirtschaft.

Denn unsere Wirtschaft krankt nicht an Schulden, sondern an chronischer Investitionsschwäche. Deutschland investiert pro Jahr 17,5% seines BIPs, der Durchschnitt der anderen Industrienationen liegt bei 21,4%. Was zunächst nicht weiter dramatisch klingt, ist eine gewaltige Investitionslücke von ca. 80 Milliarden Euro pro Jahr. Deutschland droht abgehängt zu werden. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Der ostdeutschen Merkel müsste dies eigentlich ein Begriff sein.

Die Unternehmen investieren lieber im Ausland. Der Staat investiert nur das Nötigste. Ein aktuelles Beispiel: Im Zuge der Mautdebatte ist das Thema “marode Infrastruktur” wieder auf der Tagesordnung. Schon 2012 wurde festgestellt, dass ein Fünftel der Autobahnen und zwei Fünftel der Bundesstraßen in schlechtem Zustand sind. Dass es bei den Brücken sogar noch schlimmer ist, sollte mittlerweile allgemein bekannt sein. Deutschland fällt zurück, wenn wir nicht investieren. Auch in anderen Bereichen gehen wir viel zu fahrlässig mit unserer Zukunft um. Konsequente Investitionen in IT-Bereich oder Bildung? Mangelware. Dabei sind wir auf die gute Bildung und Ausbildung der jungen Generation angewiesen. In Sachen Ausstattung, Lehrerausbildung, Ganztagsschule und hochwertiger, flächendeckender Kitabetreuung drängen sich Investitionen geradezu auf.

Eine auf das Halten der “schwarzen Null” ausgerichtete Haushalts- und Wirtschaftspolitik schadet der heimischen Wirtschaft langfristig mehr, als sie nützt. Damit tritt genau das Gegenteil von dem ein, was die Union mit ihrer Politik überhaupt erreichen will. Wer mit der schwarzen Null plant, der denkt zu kurz.

25. August 2014
von Henri Koblischke
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Raus aus der Komfortzone

“Mehr deutsches Engagement”, das wollten neben Bundespräsident Joachim Gauck noch eine Reihe anderer Politiker. Schon damals die große Befürchtung: Heißt Engagement militärisches Engagement? Das wollten und wollen die wenigsten — das gilt auch für die Waffenlieferungsbefürworter. “Engagement”. Klingt gut, sagt sich leicht. Jetzt wird der Wille der Deutschen geprüft.
Es geht in dieser Frage nicht um eine ideologische Kontroverse, sie ist im konkreten Fall unpassend und zynisch. Vielmehr wurden Berlin und der Rest der Welt schlicht von der Dynamik der Ereignisse eingeholt. In puncto Syrien-Irak-Islamisten dachte sich keiner allzu viel. Blutvergießen, Bürgerkrieg, Radikalisierung der Rebellen. Schlimme Sache. Der Alltag geht weiter. Nun stehen wir vor den Trümmern einer verfehlten Politik, einer verfehlten Politik des Westens. Ohne (vergangenes und zukünftiges) “Engagement” des Westens stehen wir vor einer Katastrophe, in jeder Hinsicht. Völkermord, Terrorstaat. Mit diesen Vokabeln müssen wir vorsichtig umgehen. Doch die Gefahr ist real.

Wir wollten uns friedlich und humanitär engagieren. Doch politische Fehlentscheidungen und die Entwicklung fordert nun einen unbequemen Schritt von uns. Wir haben es uns in der pazifistischen, weltpolitisch-phlegmatischen Ecke lange genug bequem gemacht. Das war nicht immer falsch, aber eben auch nicht immer richtig. Jetzt ist eine Situation eingetreten, in der wir unsere Komfortzone verlassen müssen. In einer mit Militäreinsatz- und Waffenlieferungs-hadernden Gesellschaft ist es immer schwierig, für eben dies einzutreten. Nicht zuletzt, wenn wir als Deutsche doppelt vorsichtig sein sollten.

Dennoch müssen wir den Fakten in die Augen schauen. Die Lage ist nun mal so wie sie ist. Wie lösen wir das Problem? Waffen lösen keine Probleme, da sind wir uns alle einig liebe Gutmenschen. Es klingt paradox — Doch kurzfristig sind sie notwendig, um die Möglichkeit der Lösung zu erhalten. Die IS ist in der Offensive, sie wird stärker. Die IS-Terroristen sind besser ausgerüstet als die Kurden. Die irakische und die syrische Regierung, sie sind beide unfähig, den Islamisten die Stirn zu bieten. Die Kurden — so pathetisch es klingt — stehen als einzige Gruppe zwischen der Stabilität (auf niedrigem Niveau) und dem Terrorstaat. Die Kurden sind wichtig, sie brauchen Hilfe, um zu bestehen. Die Weltgemeinschaft muss hier helfen. Als ultima ratio auch mit Waffen.

Folglich fragt der Michel: “Wieso denn mit Waffen? Der Autor hat doch selbst geschrieben, dass sie keine Lösung sind!” Lieber Michel, es geht (kurzfristig) nicht anders. Ja, auch ich will humanitäre Hilfe, politische Unterstützung und mehr Entwicklungspolitik. Das alles nützt uns im Moment wenig. Wie sollen wir “humanitär” helfen, wenn die IS in der Zwischenzeit gesiegt hat? Wir müssen erst die Situation mehr oder weniger in den Griff kriegen. Kurzfristig im Klartext: Waffen für die Kurden, Unterstützung beim Kampf gegen den IS. Zurzeit heißt humanitäre Hilfe militärische Hilfe, denn nur so können wir den Menschen helfen und dann eine “richtige” humanitäre Hilfe gewährleisten. Das ist die richtige Lösung ohne Waffen, die aber im Nordirak erst durch Waffen hergestellt werden kann.

Es ist schwierig. Es ist unbequem. Es ist die Wahrheit.
Die Skeptiker haben Bedenken. Sie tun recht daran. Es wäre schlimm, hätten wir hier keine Zweifel, was die Waffenlieferungen betrifft:

Zum einem die altbekannte deutsche Grundsatzfrage: Wieso wir? Wir sind die stärkste Macht in Europa (Tatsache, kein Nationalismus). Wir haben die historische Verantwortung für Frieden zu sorgen. Wir müssen Solidarität zeigen. Immer nur die anderen, die Franzosen, die Briten, die Amerikaner, ja sie alle sollen militärisch einspringen, wenn es notwendig ist und wir uns nicht trauen. Scheitern sie, kritisieren wir sie. Auf dem heimischen Sofa fühlen wir uns moralisch überlegen. Haben sie aber Erfolg, danken wir es ihnen nicht. Es ist falsch sich der Verantwortung zu entziehen, wohin das führt, müssten wir wissen. Es ist falsch die deutsche Rolle in der Welt zu verzwergen. Wir müssen erwachsen werden. Die Welt ist nichts für bequeme Menschen. Die Welt erfordert komplexe, ins Dilemma stürzende Entscheidungen. Abwägen statt abblocken. Hier müssen wir uns trauen. Auch wenn wir ein mulmiges Gefühl haben.

Zum anderen die mittel- bis langfristig drängende Frage. Was geschieht mit den Waffen in der Region. Sind die Kurden die neuen Mudschaheddin? Ist der Irak das neue Afghanistan? Werden die Waffen gegen Zivilisten, eine andere Volksgruppe oder gegen die eigene Regierung eingesetzt? Das sind schwierige, komplexe und — zugegeben — nicht vorauszusehende Entwicklungen.
Es hängt maßgeblich mit der Rolle und dem Status der Kurden zusammen. Die Kurden werden die Waffen mit Sicherheit nicht abgeben. Sie sind, angenommen sie gehen siegreich aus den Kämpfen hervor, eine bewaffnete Regionalmacht. Sie müssen auch entsprechend behandelt werden. Die Weltgemeinschaft muss hier langfristig denken und die Realitäten akzeptieren; eine Möglichkeit: die Autonomie der Kurden ausweiten. Oder als zweite Möglichkeit gar ein eigener Staat. Diese Lösung minimiert das Konfliktpotential in der Region. Die Verlierer: Irak und Syrien. In diesen Ländern wird wohl das neue Kurdistan entstehen (die Türkei wird wohl kaum dazu bewegen zu sei, das eigene Territorium verkleinern zu lassen). Das fördert natürlich neue Konflikte, doch es ist das geringere Übel. Allerdings kann hier dann das deutsche Engagement greifen. Völkerversöhnung, Entwicklungs- und Wirtschaftshilfe und innenpolitische Stabilisierung. Das ist langfristige und intelligente Hilfe. Das ist uns Deutschen zurecht das liebste. Doch davor müssen wir zu den ungeliebten Mitteln greifen und uns trauen.
Raus der Komfortzone.