22. Mai 2014
von Henri Koblischke
Keine Kommentare

Themenreihe Europawahl: Interview Tine Hørdum #2

In der Fortsetzung des Interviews spricht Tine Hørdum über das SPD-Wahlprogramm, warum Martin Schulz Kommissionspräsident werden sollte und über den Ehrgeiz der Europäischen Union.
Hier das erste Interview.

Die Regierungen haben Angst vor Machtverlust. Wie macht man ihnen klar, dass ein mehr an Europa im Interesse von allen ist?

Ein offensichtliches Beispiel ist hier die Flüchtlingspolitik. Nach Lampedusa hat man über eine wirklich europäische Asyl- und Flüchtlingspolitik geredet, um den Schutz von Menschen zu gewährleisten, die in größter Not zu uns kommen. Aber auch da geben die Regierungen ihre Kompetenzen nicht ab. Hier ist es wichtig, eine Win-Win-Situation zu schaffen. Etwa die Unterstützung von Kommunen, die ein hohes Flüchtlingsaufkommen haben. Aber auch das ist eine Frage des politischen Willens. Die SPD möchte eine gemeinsame Flüchtlings- und Asylpolitik auf europäischer Ebene. Hier verfolgt insbesondere die CDU/CSU jedoch einen anderen Kurs.

Was sind die SPD-Themen im Europawahlkampf? Wieso sollte man SPD wählen und nicht CDU?

Unser Thema ist die Gerechtigkeit. Es geht darum: Wir sollten nicht einzelne Länder gegeneinander ausspielen. Denn das eigentliche Problem besteht nicht zwischen den Ländern, sondern zwischen einigen Wenigen, die sich bereichern, und der Allgemeinheit, die dafür bezahlen muss.

Zum Beispiel bei der Finanzkrise: Wir haben gesehen, dass die Ursache für diese Krise die Rettung der Banken war. Einige Wenige hatten sich verspekuliert – und das in einem System, das nicht transparent ist. Dadurch musste die Allgemeinheit mit Steuergeldern einspringen. Das empfinden viele Menschen als Ungerechtigkeit, und es ist tatsächlich viel zu wenig passiert. Wir wollen hier klare Regeln aufstellen: Dass diejenigen, die sich in guten Zeiten die Gewinne einstecken, auch in schlechten Zeiten für die Verluste aufkommen.

Der nächste Punkt ist die Steuergerechtigkeit: Es kann nicht sein, dass reiche Leute ihr Geld am Staat vorbei ins Ausland schleusen, während alle anderen Bürger ihre Steuern zahlen. Auch hier wollen wir entsprechende Regeln aufstellen, mit denen wir das verhindern können. Es geht um mehr Transparenz im System.

Ein anderes Thema ist der Mindestlohn: Jeder, der Vollzeit arbeiten geht, muss von diesem Lohn auch leben können. Heute fahren Manager Unternehmen an die Wand und kassieren dafür Abfindungen – während auf der anderen Seite Menschen von ihrem Lohn nicht leben können, obwohl sie gute Arbeit leisten. Auch hier wollen wir mehr Gerechtigkeit, zum Beispiel durch Mindestlöhne. Eine Deckelung der Bonuszahlungen haben wir bereits durchgesetzt.

Schließlich, letzter Punkt: Wir wollen das Parlament weiter stärken, indem es das Initiativrecht bekommt und damit selber Gesetzesvorschläge einbringen kann. Wir wollen, dass Europa demokratischer wird und weniger auf Regierungsgipfeln entschieden wird. Die Wahl zum Kommissionspräsidenten ist deshalb ein großer Schritt in Richtung Demokratie, den es in Europa vorher noch nicht gegeben hat.

Nochmal zum Thema Gerechtigkeit. Im Bundestagswahlkampf ist die SPD mit dem Thema nicht so richtig durchgedrungen. Wieso sollte das nun im Europawahlkampf anders sein?

Nach wie vor halte ich das für ein wichtiges Thema, das einen Großteil der Menschen betrifft. Und man merkt auch jetzt, wo wir im Bund bestimmte Dinge wie den Mindestlohn voranbringen, dass die Kritik daran nicht aus der Bevölkerung kommt. Das wird hauptsächlich in den Medien und von Verbänden kritisiert. Und immerhin haben wir ja bei der Bundestagswahl ein bisschen zugelegt. Ich halte das nach wie vor für das richtige Programm.

Warum sollte Martin Schulz Kommissionspräsident werden?

Er kommt von der kommunalen Ebene – er war Bürgermeister – und ist deshalb nah an den Menschen. Man muss nicht für alles europäische Regeln setzen, sondern braucht Spielraum vor Ort. Er kennt die Auswirkungen der Gesetze vor Ort und das ist ein großer Pluspunkt. Und natürlich steht er für die Inhalte, die ich eben beschrieben habe. Er grenzt sich klar ab vom Gegenkandidaten. Juncker hat eine andere Auffassung davon, wie Wirtschaft organisiert werden soll – oder eben nicht organisiert werden soll. Er meint, dass der freie Markt alles von selbst regelt. Wir meinen, dass wir Regeln brauchen, um mehr Gerechtigkeit und sozialen Schutz zu gewährleisten.

Braucht Europa neue Vordenker?

Ein Spitzenkandidat gibt der Europawahl ein Gesicht. Das ist ganz wichtig: Wenn man über Politik diskutieren will, braucht man Gesichter. Bei der Europawahl war das bisher schwierig, deshalb ist das ein Schritt in die richtige Richtung. Grundsätzlich wünsche ich mir auch auf nationaler Ebene solche Vordenker für Europa. Es hat ja auch in der Vergangenheit Bundeskanzler gegeben, die sehr europäisch orientiert waren. Das vermisse ich im Moment. Hier würde ich mir wünschen, dass mehr über Europas Zukunft nachgedacht wird.

Ist die EU ehrgeizig genug, z.B. beim Klimaschutz oder auch beim Beitritt der Türkei zur EU?

Auf den klassischen europäischen Entscheidungsfeldern, beispielsweise bei Klimazielen, werden schon ehrgeizige Ziele gesetzt. In anderen Bereichen dann eher weniger. Das liegt meist an der Vielzahl der Meinungen bei 28 Mitgliedsländern. Insofern ja: Ich wünsche mir in wichtigen Bereichen wie der Asyl- und Flüchtlingspolitik und der Außenpolitik mehr Europa.

Wer die Meinung des CDU-Kandidaten Axel Voss zu Europa lesen will, das Interview ist hier verlinkt.

21. Mai 2014
von Henri Koblischke
Keine Kommentare

Themenreihe Europawahl: Interview Axel Voss #1

Axel Voss ist bereits seit der letzten Europawahl 2009 Abgeordneter und stellt sich zur Wiederwahl. Der Jurist ist Mit­glied im Aus­schuss für bür­ger­li­che Frei­hei­ten, Jus­tiz und Inne­res. Ein Schwerpunkt liegt dabei auch auf dem Bereich Datenschutz, der im Zuge der NSA-Affäre eine neue Brisanz erhalten hat. Seit 15 Jahren lebt er mit seiner Familie in Bonn. Neben seiner Abgeordnetentätigkeit ist er Bezirks­vor­sit­zen­der der CDU Mit­tel­rhein. Nähere Infos hier.
politicsgermany hat mit ihm zum Thema Europa gesprochen.

Was hab ich denn als Bürger von Europa?

Es bietet Ihnen Frieden, Wohlstand, Naturschutz, kleinere Roaming-Gebühren, Austausch, Arbeitsplätze, Freizügigkeit, Binnenmarkt, von dem wir profitieren. Datenschutz. Verbraucherschutz. Alles, was Sie sich denken können, damit hat Europa zu tun.

Wenn die Vorteile, wie beschrieben, so groß sind, wieso ist die Zahl der Europakritiker dann so groß? Gerade im Ausland.

Das frage ich mich auch. Viele kritisieren in Anbetracht der Krise die Struktur der EU und die Währungsunion. Auch wird kritisiert, dass wir uns um zu viele Kleinigkeiten kümmern. Andere sind generell dagegen. Ich finde dies nicht gerechtfertigt, da die EU, ihr Versprechen von Frieden und Wohlstand erfüllt hat. Auch die modernen Herausforderungen der Globalisierung wie Energie, Migration, Klimaschutz etc. kann kein Nationalstaat alleine regeln. Warum man diesen Erfolgsweg in Frage stellt, kann ich nicht nachvollziehen.

Was tut man, um dem zu begegnen? Die sogenannte „Regulierungswut“ einschränken?

Was wir machen müssen, ist die Strukturen effektiver gestalten. Nicht jeder Kommissar muss seine Fußstapfen in der Gesetzgebung hinterlassen. Wir müssen uns auf das Wesentliche konzentrieren. Ich fand es in Hochzeiten der Krise falsch so zu tun, als würden wir weitermachen wie bisher. Da hätten wir mehr umschwenken müssen.

Auf Ihrem Wahlplakat steht, Sie wollen Europa eine Richtung geben. Welche soll das sein?

Das soll bedeuten, dass wir weg kommen müssen vom „klein-klein“; die Konzentration auf das Wesentliche und die grenzüberschreitenden Fragen in den Vordergrund rücken. Beispiel Energiesicherheit. Darüber hinaus sind es andere wesentliche Dinge wie die Finanz-, Verschuldungs- oder Ukrainekrise. Auch ein europäisches Militär wäre eine sinnvolle Idee. Strukturen und Inhaltliches auf das Wesentliche konzentrieren.

Vereinigte Staaten von Europa? Was halten Sie davon?

Grundsätzlich eine gute Idee. Nur die bisherige Entwicklung hat gezeigt, dass es nur „kleinschrittig“ geht. Uns heute Gedanken darüber zu machen, wie die EU einmal aussehen soll, könnte dazu führen, dass wir einige Mitgliedsstaaten verlieren. Daher finde ich, sollten wir uns einzelne Projekte vornehmen, um die Integration voranzutreiben. Die unterschiedlichen Vorstellungen – föderalistische, zentralistische, oder die einer EU, die auf den Binnenmarkt beschränkt ist – lassen sich nicht dadurch lösen, dass wir eine Diskussion darüber anfangen. Europa muss sich daher Projekte suchen, um die eigene Entwicklung weiter voranzutreiben.

Es wird oft die Forderung laut, die EU müsse sich umstrukturieren. Wie lange wird dieser Prozess dauern?

Wir haben Anfang des Millenniums die ganze Entwicklung um den Europäischen Verfassungsvertrag gehabt. Aufgrund des „Neins“ einiger Staaten konnten wir diesen nicht umsetzen. Das führte dann zum Vertrag von Lissabon. Auch da gab es wieder Verzögerungen. Mit der letzten Vertragsänderung haben wir gut zehn Jahre gebraucht, denn letztlich müssen alle Mitgliedsstaaten zustimmen. Diese Zeitdimensionen sind extrem und kaum vorhersehbar. Ich halte es für dringend notwendig, eine Vertragsveränderung in die Wege zu leiten. Die Probleme der Globalisierung deren Dynamik erfordern eine schnellere Anpassung. Auf der anderen Seite gibt es Entwicklungen zurück zum Nationalen. Das ist schlecht für Europa. Denn zukunftsorientiert wäre eine bessere Integration innerhalb Europas.

Sie sagen es ja. Heute müssen alle Mitgliedsstaaten zustimmen. Langfristig ist es da doch besser, wenn das Europaparlament gestärkt wird. Das könnte den Prozess doch beschleunigen?

Das Parlament muss bei der nächsten Vertragsveränderung mehr Kompetenzen erhalten. Gerade durch das Initiativrecht wird es mehr Einfluss auf die Gesetzgebung haben. Im Moment sind wir von der Kommission abhängig. Das Parlament institutionell zu stärken, ist deshalb der richtige Weg. Grundsätzlich müssen wir da schneller vorangehen. Wir müssen Kompetenzen flexibilisieren. Probleme tauchen immer dann auf, wenn wir gerade keine Vertragsänderung hinbekommen, es aber dringend erforderlich scheint. Stichwort Staatsverschuldungskrise: Der Rettungsschirm ist ja außerhalb des europäischen Rechtes angesiedelt. Zukünftig sollten wir solche Probleme innerhalb der europäischen Strukturen lösen.

Wer die Meinung der SPD-Kandidatin Tine Hørdum zu Europa lesen will, das Interview ist hier verlinkt.