In der Fortsetzung des Interviews spricht Tine Hørdum über das SPD-Wahlprogramm, warum Martin Schulz Kommissionspräsident werden sollte und über den Ehrgeiz der Europäischen Union.
Hier das erste Interview.
Die Regierungen haben Angst vor Machtverlust. Wie macht man ihnen klar, dass ein mehr an Europa im Interesse von allen ist?
Ein offensichtliches Beispiel ist hier die Flüchtlingspolitik. Nach Lampedusa hat man über eine wirklich europäische Asyl- und Flüchtlingspolitik geredet, um den Schutz von Menschen zu gewährleisten, die in größter Not zu uns kommen. Aber auch da geben die Regierungen ihre Kompetenzen nicht ab. Hier ist es wichtig, eine Win-Win-Situation zu schaffen. Etwa die Unterstützung von Kommunen, die ein hohes Flüchtlingsaufkommen haben. Aber auch das ist eine Frage des politischen Willens. Die SPD möchte eine gemeinsame Flüchtlings- und Asylpolitik auf europäischer Ebene. Hier verfolgt insbesondere die CDU/CSU jedoch einen anderen Kurs.
Was sind die SPD-Themen im Europawahlkampf? Wieso sollte man SPD wählen und nicht CDU?
Unser Thema ist die Gerechtigkeit. Es geht darum: Wir sollten nicht einzelne Länder gegeneinander ausspielen. Denn das eigentliche Problem besteht nicht zwischen den Ländern, sondern zwischen einigen Wenigen, die sich bereichern, und der Allgemeinheit, die dafür bezahlen muss.
Zum Beispiel bei der Finanzkrise: Wir haben gesehen, dass die Ursache für diese Krise die Rettung der Banken war. Einige Wenige hatten sich verspekuliert – und das in einem System, das nicht transparent ist. Dadurch musste die Allgemeinheit mit Steuergeldern einspringen. Das empfinden viele Menschen als Ungerechtigkeit, und es ist tatsächlich viel zu wenig passiert. Wir wollen hier klare Regeln aufstellen: Dass diejenigen, die sich in guten Zeiten die Gewinne einstecken, auch in schlechten Zeiten für die Verluste aufkommen.
Der nächste Punkt ist die Steuergerechtigkeit: Es kann nicht sein, dass reiche Leute ihr Geld am Staat vorbei ins Ausland schleusen, während alle anderen Bürger ihre Steuern zahlen. Auch hier wollen wir entsprechende Regeln aufstellen, mit denen wir das verhindern können. Es geht um mehr Transparenz im System.
Ein anderes Thema ist der Mindestlohn: Jeder, der Vollzeit arbeiten geht, muss von diesem Lohn auch leben können. Heute fahren Manager Unternehmen an die Wand und kassieren dafür Abfindungen – während auf der anderen Seite Menschen von ihrem Lohn nicht leben können, obwohl sie gute Arbeit leisten. Auch hier wollen wir mehr Gerechtigkeit, zum Beispiel durch Mindestlöhne. Eine Deckelung der Bonuszahlungen haben wir bereits durchgesetzt.
Schließlich, letzter Punkt: Wir wollen das Parlament weiter stärken, indem es das Initiativrecht bekommt und damit selber Gesetzesvorschläge einbringen kann. Wir wollen, dass Europa demokratischer wird und weniger auf Regierungsgipfeln entschieden wird. Die Wahl zum Kommissionspräsidenten ist deshalb ein großer Schritt in Richtung Demokratie, den es in Europa vorher noch nicht gegeben hat.
Nochmal zum Thema Gerechtigkeit. Im Bundestagswahlkampf ist die SPD mit dem Thema nicht so richtig durchgedrungen. Wieso sollte das nun im Europawahlkampf anders sein?
Nach wie vor halte ich das für ein wichtiges Thema, das einen Großteil der Menschen betrifft. Und man merkt auch jetzt, wo wir im Bund bestimmte Dinge wie den Mindestlohn voranbringen, dass die Kritik daran nicht aus der Bevölkerung kommt. Das wird hauptsächlich in den Medien und von Verbänden kritisiert. Und immerhin haben wir ja bei der Bundestagswahl ein bisschen zugelegt. Ich halte das nach wie vor für das richtige Programm.
Warum sollte Martin Schulz Kommissionspräsident werden?
Er kommt von der kommunalen Ebene – er war Bürgermeister – und ist deshalb nah an den Menschen. Man muss nicht für alles europäische Regeln setzen, sondern braucht Spielraum vor Ort. Er kennt die Auswirkungen der Gesetze vor Ort und das ist ein großer Pluspunkt. Und natürlich steht er für die Inhalte, die ich eben beschrieben habe. Er grenzt sich klar ab vom Gegenkandidaten. Juncker hat eine andere Auffassung davon, wie Wirtschaft organisiert werden soll – oder eben nicht organisiert werden soll. Er meint, dass der freie Markt alles von selbst regelt. Wir meinen, dass wir Regeln brauchen, um mehr Gerechtigkeit und sozialen Schutz zu gewährleisten.
Braucht Europa neue Vordenker?
Ein Spitzenkandidat gibt der Europawahl ein Gesicht. Das ist ganz wichtig: Wenn man über Politik diskutieren will, braucht man Gesichter. Bei der Europawahl war das bisher schwierig, deshalb ist das ein Schritt in die richtige Richtung. Grundsätzlich wünsche ich mir auch auf nationaler Ebene solche Vordenker für Europa. Es hat ja auch in der Vergangenheit Bundeskanzler gegeben, die sehr europäisch orientiert waren. Das vermisse ich im Moment. Hier würde ich mir wünschen, dass mehr über Europas Zukunft nachgedacht wird.
Ist die EU ehrgeizig genug, z.B. beim Klimaschutz oder auch beim Beitritt der Türkei zur EU?
Auf den klassischen europäischen Entscheidungsfeldern, beispielsweise bei Klimazielen, werden schon ehrgeizige Ziele gesetzt. In anderen Bereichen dann eher weniger. Das liegt meist an der Vielzahl der Meinungen bei 28 Mitgliedsländern. Insofern ja: Ich wünsche mir in wichtigen Bereichen wie der Asyl- und Flüchtlingspolitik und der Außenpolitik mehr Europa.
Wer die Meinung des CDU-Kandidaten Axel Voss zu Europa lesen will, das Interview ist hier verlinkt.